Vor 70 Jahren: „The Eyes of Reason“ erscheint

Originalausgabe aus dem Verlag Little, Brown & Company in Boston, Frühjahr 1951. Auf dem Schutzumschlag ist ein Teil der Prager Burg zu sehen; im Inneren eine Zeichnung zur Umgebung der fiktiven Kleinstadt Rodnik, dem Schauplatz der Handlung. Foto: M. Müller

Der Roman zählt nicht zu den bekanntesten Büchern Stefan Heyms, Kenner seines Werkes halten ihn gleichwohl für einen seiner besten: Vor 70 Jahren, im Frühjahr 1951, erschien in den USA mit „The Eyes of Reason“ Heyms erstes literarisches Plädoyer für eine Alternative zum Kapitalismus. Es ist zugleich die letzte größere Arbeit Stefan Heyms, die in den Vereinigten Staaten entstand.

Die Handlung des Romans, der auf Deutsch später unter dem Titel „Die Augen der Vernunft“ erschien, spielt in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg in der Tschechoslowakei; einem Land, das Stefan Heym seit seinem antifaschistischen Exil in Prag 1933-35 sehr schätzte und das bereits Schauplatz seines neun Jahre zuvor erschienenen Debütromans „Hostages“ war. Anfang 1948 hatte in Prag die Kommunistische Partei die Macht übernommen, nachdem sie als stärkste Kraft aus den Parlamentswahlen hervorgegangen war. „Hier geschieht es zum ersten Mal“, zeichnete Heym dreieinhalb Jahrzehnte später in seiner Autobiografie „Nachruf“ seine damaligen Gedanken nach, „dass die Revolution, die sozialistische, in einem industriell entwickelten Lande auftritt, und aus dem eigenen Volk heraus, nicht auf den Geschütztürmen der Panzer einer Siegermacht.“

Anhand der Geschichte dreier Brüder diskutiert Stefan Heym in seinem Roman recht ausgewogen verschiedene Optionen für die künftige politische Entwicklung des Landes – von bürgerlich-kapitalistisch über freiheitlich-liberal bis sozialistisch. Breiten Raum nehmen dabei die Erörterung individueller Freiheiten und die Auslotung ihrer Grenzen ein. Auffällig und keineswegs untypisch für Heym ist, dass er bereits in diesem Roman den Sozialismus nicht im klassischen marxistischen Sinne das Wort spricht, sondern ihn eher als die „vernünftigere“, weil stärker am Gemeinwohl orientierte Gesellschaftsalternative interpretiert.

Bevor Stefan Heym mit der Niederschrift von „The Eyes of Reason“ begann, unternahm er ausführliche Recherchen in Prag und der böhmischen Provinz, interviewte Zeitzeugen über den Umbruch in der Tschechoslowakei und informierte sich im Detail über wirtschaftliche Fragen, insbesondere zur Glasindustrie. Daraus entstand ein hunderte Einzelaspekte umfassendes, systematisiertes Recherchematerial. Kritiker bemängelten allerdings, dass Heym in seinem Roman wesentliche zeitgeschichtliche Ereignisse nur sehr selektiv berücksichtigt. Ein Vorwurf, mit dem er auch bei späteren Werken konfrontiert werden sollte.

Nach Erscheinen des Buches in Amerika, in den ersten Jahren des kalten Krieges, wurden Stefan Heym in Rezensionen und Kommentaren vielfach prosowjetische Propaganda und Illoyalität gegenüber den Vereinigten Staaten vorgeworfen, deren Staatsbürger er einige Jahre zuvor geworden war. Er und seine erste Frau Gertrude, die der Kommunistischen Partei der USA angehörte, drohten, ins Visier der Verfolgung echter und vermeintlicher Kommunisten unter Senator Joseph McCarthy zu geraten. Schon bald nach Erscheinen von „The Eyes of Reason“, entschied sich das Paar daher, Amerika zu verlassen. Es sollte ein Abschied für immer werden.

Lesetipp: „The Eyes of Reason“ ist im amerikanischen Original bei diversen Anbietern als E-Book erhältlich. Auf Deutsch erschien das Buch zuletzt als Taschenbuch im btb-Verlag (ISBN: 978-3-442-72353-9).

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