Nach einem Vorschlag des Präsidenten des Deutschen Bundestages, Norbert Lammert, soll künftig nicht mehr der lebensälteste, sondern der dienstälteste Abgeordnete Alterspräsident des Parlaments bei dessen konstituierender Sitzung sein. Das ist derjenige Abgeordnete, der dem Deutschen Bundestag am längsten angehört. Damit solle sichergestellt werden, dass ein Parlamentarier die erste Sitzung des neu gewählten Bundestages leitet, der über ausreichende einschlägige Erfahrungen verfügt, sagte Lammert zur Begründung. Bei der derzeitigen Rechtslage bleibe es dem Zufall überlassen, wer Alterspräsident werde. Nicht auszuschließen sei etwa, dass ein neugewählter Abgeordneter ohne jegliche Erfahrung in der Leitung von Versammlungen oder Sitzungen in die Situation komme, die konstituierende Sitzung des größten und wichtigsten deutschen Parlaments zu leiten. Das sei mit dessen Bedeutung nicht vereinbar. Der Alterspräsident hat nach der Geschäftsordnung des Bundestages die Aufgabe, in der ersten Sitzung des Parlaments den Vorsitz zu führen, „bis der neugewählte Präsident oder einer seiner Stellvertreter das Amt übernimmt.“ Traditionell hält er zu Beginn der Sitzung eine Rede.
Als Alterspräsident des 13. Deutschen Bundestags eröffnete Stefan Heym im November 1994 die damalige erste Sitzung des Parlaments. Der 81-Jährige hatte als parteiloser Kandidat in Berlin ein Direktmandat für die Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) gewonnen. Mit Verweis auf angebliche Stasi-Kontakte Heyms war noch am Abend vor der Eröffnung des Bundestages versucht worden, Heyms Auftritt als Alterspräsident zu verhindern. Die Vorwürfe erwiesen sich binnen Stunden als völlig haltlos. Dennoch verweigerten die Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion mit Ausnahme der späteren Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth Heym nach seinem Auftritt demonstrativ den Applaus. Heyms Rede wurde entgegen der Gepflogenheiten zunächst auch nicht im „Bulletin“ der Bundesregierung veröffentlicht.
Lese-Tipp: Heyms Rede als Alterspräsident des 13. Deutschen Bundestages ist in dem Sammelband „Offene Worte in eigener Sache“ abgedruckt (München: btb, 2003; ISBN: 978-3-442-73080-3).