Vor 85 Jahren: Ein junger Dichter in Berlin

Die von Leopold Schwarzschild zunächst in Berlin, später in München herausgegebene Zeitschrift „Das Tagebuch“ druckte 1932/33 mehrere Gedichte des jungen Stefan Heym. Bereits im Herbst 1931 hatte sie ihre Leser über die Umstände informiert, die ihn gezwungen hatten, seine Heimatstadt Chemnitz zu verlassen (Abb.).

Auch die von Leopold Schwarzschild zunächst in Berlin, später in München herausgegebene Zeitschrift „Das Tage-Buch“ druckte 1932/33 mehrere Gedichte des jungen Stefan Heym. Bereits im Oktober 1931 hatte sie ihre Leser über die Umstände informiert, die ihn gezwungen hatten, seine Heimatstadt Chemnitz zu verlassen (Abb.).

Es sollten turbulente Wochen werden für Stefan Heym im Herbst 1931. Dabei begann für den damals 18-jährigen Abiturienten aus der sächsischen Industriestadt Chemnitz, der seinerzeit noch Helmut Flieg hieß, alles so viel versprechend: In Berlin erscheint im September mit „Melancholie vom 5. Stock“ eines seiner frühen Gedichte in der Lyrik-Anthologie „Um uns die Stadt“, Seite an Seite mit Arbeiten so prominenter Dichter wie Johannes R. Becher, Bert Brecht, Max Hermann-Neiße, Walter Mehring, Erich Mühsam, Joachim Ringelnatz und Kurt Tucholsky. Auch die SPD-Tageszeitung „Volksstimme“ in seiner Heimatstadt veröffentlicht einmal mehr zwei seiner Gedichte. Eines trägt den Titel „Exportgeschäft“ und wird später Heyms berühmteste Arbeit aus seinen Jugendtagen sein. Der Grund: Weil die Verse in ihren Augen die Ehre deutscher Offiziere beschmutzen, fordern die Chemnitzer Nationalsozialisten in der örtlichen Presse und öffentlichen Versammlungen, den Schüler Helmut Flieg vom Gymnasium zu relegieren. Ein solcher „Lump“ gehöre „ausgschaltet“ aus der deutschen Volksgemeinschaft, heißt es. Auch Politiker anderer rechter Parteien versuchen, aus dem entfachten Skandal Kapital zu schlagen. Die Deutsche Volkspartei bringt sogar einen Antrag dazu im Sächsischen Landtag ein.

Als in der aufgeheizten Atmosphäre der Druck zu groß wird, melden die Eltern Helmut Flieg von der Schule ab. Er geht nach Berlin, wo er bei Verwandten unterkommt. Dort beginnt ab Oktober 1931 für ihn eine ungemein produktive Zeit. In den kommenden anderthalb Jahren, bis zu seiner Flucht vor den Nationalsozialisten im Frühjahr 1933, entstehen eine Vielzahl zumeist zeitkritischer und politischer Gedichte, aber auch erste journalistische Arbeiten, von denen dank rasch geknüpfter Kontakte in die Redaktionen von Zeitungen, Zeitschriften und Hörfunkprogrammen erstaunlich viele auch gedruckt werden. Bis zum Abitur, das er im Frühjahr 1932 an der Heinrich-Schliemann-Schule am Prenzlauer Berg ablegt, veröffentlicht Helmut Flieg angesichts der Chemnitzer Erfahrungen vorübergehend nur noch unter Pseudonym, erst später wieder unter seinem bürgerlichen Namen.

Lese-Tipp: Eine Reihe von Stefan Heyms Arbeiten aus den frühen 1930er-Jahren ist in dem von Inge Heym zusammengestellten Band „Stefan Heym. Frühe Gedichte“ (C. Bertelsmann, 2013) erstmals wieder veröffentlicht worden. Die Lyrik-Anthologie „Um uns die Stadt“ ist in der Reihe „Bauwelt Fundamente“ im Birkhäuser Verlag als Reprint erschienen.

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